Bücher für Jugendliche/Erwachsene

Übersicht Rezensionen:


Rezension:
Bernd Siggelkow: Kindheit am Rande der Verzweiflung – Die fatalen Folgen von Lockdown und Isolation

Der Autor Bernd Siggelkow ist Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks „Die Arche“, welches er 1995 in Berlin-Hellersdorf gründete. Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland mehrere Einrichtungen.

Deutschlandweit betreuen die Arche-Einrichtungen mittlerweile etwa 4500 Kinder, die natürlich auch alle vom Lockdown im März 2020 betroffen waren. Durch die eigenen Erfahrungen wissen wir alle, was ein Lockdown für Folgen für unsere Kinder haben kann, die Folgen für die Arche-Kinder beschreibt Siggelkow jedoch so bildlich und dramatisch, dass mir mehrmals die Tränen kamen. Familien, die sowieso schon oft durchs Raster fallen, derer sich die Arche-Mitarbeiter liebevoll und vielseitig unterstützend annehmen, wird durch den Lockdown die letzte Unterstützung genommen.

Das Buch besteht aus 6 Kapiteln, in denen der Autor darlegt, wie sich die Situation vieler Kinder durch den Lockdown verändert hat und welche Folgen sich daraus ergeben. Er spricht von Streit, Gewalt, Nahrungsmittelknappheit, zunehmender Armut, Einsamkeit, Angstzuständen und Hoffnungslosigkeit. Besonders eindrücklich wird das in dem Teil des Buches, in dem Siggelkow Auszüge aus seinen Tagebucheinträgen preisgibt. Hier erhält man Eindrücke, welche Erfahrungen er und sein Team tagtäglich über Wochen und Monate machen mussten und wie sie mit allen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, versuchen Nöte zu lindern, da zu sein, Hilfe zu bieten, … und das zu nahezu jeder Tages- und Nachtzeit.

Bernd Siggelkow bietet aber auch Lösungsideen, die er in Interviews nach außen trägt, die jedoch von Verwantwortlichen in der Politik nicht gehört werden oder nicht gehört werden wollen. Das Buch enthält eine Mischung aus eigenen Erfahrungen und statistischen Fakten u.a. Bezüge zu Studien der Bertelsmann-Stiftung oder der Kriminalstatistik. Zum Schluss wird deutlich, dass Schweigen die Not nur verschlimmert, Kinder brauchen Stimmen, die laut werden und sich für sie einsetzen, um die Folgen der Pandemie abzufedern, aber auch um diese Kinder mit ihren Familien endlich mehr in den Blick zu nehmen und bereits präventiv tätig zu werden.

Das Buch endet mit den Worten „Wir machen weiter.“ und man spürt, dass es der Autor ernst meint, nicht resigniert, sondern weiter Hoffnung streuen möchte, auch oder gerade in hoffnungsloseren Zeiten.

Mein Fazit:
Es macht sich beim Lesen einfach sehr viel Fassungslosigkeit und Traurigkeit breit. Der Stellenwert von Kindern in unserer Gesellschaft, vor allem von Kindern, die sowieso schon am Rande der Gesellschaft stehen, ist durch die Corona-Pandemie nur noch schlechter und hoffnungsloser geworden. Die immer noch andauernde Pandemie hinterlässt Spuren in den Seelen unserer Kinder, die wir dringend lindern sollten und derer wir uns aber erstmal in dieser Deutlichkeit bewusst werden müssen. Das Buch öffnet die Augen!

Siggelkow selbst betont im Buch, dass es ihm nicht um Schuldzuweisungen geht, aber eben darum, dass unsere Gesellschaft endlich erkennt, dass es eine Bringschuld für die nächste Generation gibt. Diesen Weg zu beschreiten wird, vor allem nach den Erfahrungen und Prägungen durch die Corona-Pandemie, nicht leicht. Von Normalität wird man bei vielen Kindern lange nicht mehr sprechen können, auch wenn dann irgendwann die Normalität zurückkehrt. Auch wir Erwachsenen wissen, wie sehr uns die Pandemie, die Lockdowns und die Einschränkungen Kraft kosten und an den Nerven zehren. Wie muss es dann erst für unsere Kinder sein?

Dieses Buch soll wachrütteln und zeigen, dass es manchmal gar nicht viel braucht, um Nöte zu lindern. Aber auch die Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und all die, die mit unseren Kindern tagtäglich in Berührung kommen, im Grunde aber auch die ganze Gesellschaft, steht nun in der Pflicht sich um unsere Kinder, deren Nöte und Ängste zu kümmern, sie zu begleiten, wo sie es benötigen, ihnen ein offenes Ohr zu schenken und zu tun, was immer nötig ist, um ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben!

Produktinformationen
Verlag: Claudius Verlag
Autor: Bernd Siggelkow
Erschienen: 30. August 2021 (1.Edition)
Hardcover mit 112 Seiten
Preis: 14,00€
(getestet über Literaturtest.de)


Rezension:
Carsten Tergast: Die Schule brennt! Ein Lehrer sucht Auswege aus einem kaputten System.

Carsten Tergast beleuchtet in seinem Buch die eigentlich schon lang bekannten Probleme im System Schule. Als Quereinsteiger unterrichtete er im Jahr 2018 für ein Halbjahr als Deutschlehrer Schüler*innen von Klasse 6 bis 8 auf Haupt- und Realschulniveau in Deutsch, Geschichte und GWS. Er beschreibt seine Erfahrungen mit dem System Schule aus der Sicht einer Lehrkraft. Sein nur kurzes Gastspiel in diesem Berufsfeld beschreibt er in einem Interview als Selbstschutz, da er die Umstände des Lehrerjobs zu den akuellen Bedingungen wohl nicht ausgehalten hätte.

Zunächst versucht Tergast die zentralen Problemfelder zu identifizieren und macht hier schon deutlich, dass am System Schule zu viel nicht stimmt. Die Corona-Pandemie hat hier nur noch ein Brennglas aufgelegt und die Missstände noch deutlicher aufgezeigt. Experten zum Thema Schule haben wir viele. Tergast vergleicht diese Bildungsexperten mit den 80 Millionen Bundestrainern, die wir haben, wenn die Fußballnationalmannschaft spielt. Jeder war irgendwann einmal in der Schule und kann daher genau beurteilen, was anders laufen müsste. Dazu kommen noch die „Reform-Experminente“, die auf dem Rücken von Lehrer*innen und Schüler*innen ausgetragen werden und oftmals nur verzweifelte, unerprobte Schnellschüsse sind, die mehr Schaden anrichten, als dass sie Probleme lösen. Tergast untermauert seine Aussagen immer wieder mit eigenen Erfahrungen oder auch wissenschaftlichen Belegen.

Die größten Flammen schlagen in folgenden Bereichen aus dem brenndenden Gebäude:

Digitalisierung:
Damit ist nicht nur die mangelde Ausstattung gemeint, sondern auch die insgesamt mangelhafte digitale Infrastruktur Deutschlands.

Schülerverhalten:
Klagen über respektlose und lernunwillige Schüler*innen nehmen gefühlt zu, während aber eigentlich nur die Verantwortung dafür von Schule zu Eltern und wieder zurück geschoben wird.

Verhalten auf Elternseite:
Von Eltern, die sich gar nicht kümmern über die sog. Helikoptereltern, beides ist für die Entwicklung der Kinder nicht sonderlich förderlich und trägt somit auch zu Problemen im schulischen Bereich bei.

Veränderung der Rolle des Lehrers:
Reformen, neue Methoden, … die verschiedensten Konzepte, die von oben herab übergestülpt werden, oft von Theoretikern, die schon lange keine Schule mehr von innen gesehen haben.

Im Folgenden werden diese Punkte weiter erläutert und mögliche Ansätze für Verhaltensänderungen angesprochen. Das Buch bietet keine Universallösung, aber der Autor möchte zum Umdenken anregen, möchte helfen die Brandursachen und die Glutnester zu finden und Ideen liefern, wie diese gelöscht werden könnten. An manchen Stellen empfiehlt er aber auch „alles kontrolliert runterbrennen zu lassen und anschließend zu entsorgen“.
Gefordert werden alle Beteiligten, Politiker*innen, Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen. Schule muss neu gedacht werden und darf dabei nicht von Politik, Wirtschaft oder irgendwelchen Ideologien gesteuert werden: Schule und Schulreformen dürfen nicht nur theoretisch geplant werden. Wichtig ist, dass stattdessen wieder ein Fokus auf den Begriff Bildung gelegt wird. Diesen grenzt Tergast klar von „Schule“ ab und definiert ihn auch in Abgrenzung zum Erziehungsauftrag der Schule. Auch der Begriff „Freiheit“ spielt eine zentrale Rolle. Manche der hier formulierten Wünsche, wie z.B. die Abschaffung des Religionsunterrichts, kann ich so nicht teilen und in vielen angesprochenen Punkten nicht nachvollziehen. Denn genau in diesem Unterricht wird doch viel getan, um die Schüler*innen zu mündigen Bürgern zu erziehen, sie zu reflektierten und kritischem Denken anzuregen und ihnen Toleranz und Nächstenliebe nahezubringen.

Mein Fazit:

Insgesamt ein lesenswertes, aber auch sehr ernüchterndes Buch, welches schon wieder einmal die Frage aufwirft, wie man (politisch) an diesem System immer noch festhalten kann, obwohl immer wieder, und nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie, deutlich sichtbar wurde, wie sehr Kinder, Lehrkräfte und auch Eltern daran scheitern, kaputtgehen und verzweifeln. Das Buch bietet keine wirklich neuen Erkenntnisse, was die Probleme angeht, zumindest nicht, wenn man als Lehrkraft arbeitet. Es bietet auch keine „heile Welt“-Lösung und die Ansätze sind sicher eher etwas idealisiert. In einzelnen Punkten sind sie für mich nicht nachvollziehbar bzw. über das Ziel hinausgeschossen. Ob die Ansätze also tatsächlich praxistauglich sind, wird sich zeigen. Sie eröffnen zumindest kleine Handlungsmöglichkeiten.
Schön wäre, wenn irgendwann mal auch die Entscheidungsträger in der Politik genauer hinschauen würden und mehr mit allen Beteiligten (den wahren Experten) zusammenarbeiten würden.

Produktinformationen
Autor: Carsten Tergast
Erschienen: 26. August 2021 (1.Auflage)
Herausgeber: Ecowin
Hardcover mit 149 Seiten
Preis: 24,00 €
(getestet über beneventobooks.com)


Rezension: Wolfgang Brenner: Das deutsche Datum: der neunte November

Wolfgang Brenner beleuchtet in seinem Werk „Das deutsche Datum: der neunte November“ eben jenen oft als Schicksalstag der Deutschen bezeichneten Tag: die doppelte Republikausrufung 1918, der Putschversuch Hitlers 1923, die Reichspogromnacht 1938, das misslungene Hitler-Attentat von Georg Elser und schließlich der Fall der Mauer und das damit eingeläutete Ende der DDR 1989.

Brenner bezeichnet es als „historische Logik“, dass zwischen diesen Daten eine Verbindung besteht: „Der neunte November reagiert auf den neunten November.“ (S. 14)

Der gescheiterte Hitler-Putsch wird aus diesem Blickwinkel als Reaktion auf die Novemberrevolution 1918 gedeutet, da ein Gros der Masse eine Revision der damaligen Ergebnisse anstrebe. Die Novemberpogrome 1938 werden mit den vorigen 9. Novembern verknüpft, da es „seit 1918 einen Willen und seit 1923 einen Plan [gab], es den Juden ‚heimzuzahlen‘. Der Mechanismus der Gewalt war spätestens seit 1923 in Gang.“ (S. 211) Das Hitler-Attentat Elsers am Vorabend des 9. November 1939 konnte durchgeführt werden, da Hitler anlässlich des Putschversuches die Festrede im Bürgerbräukeller hielt. Die friedliche Revolution 1989 wird insbesondere mit der Novemberrevolution 1918 – häufig als unvollendet betitelt – verglichen.

Diese Vergleichsaspekte vermögen durchaus zu überzeugen und ermöglichen dem Leser, Geschichte in ihren Zusammenhängen und Verknüpfungen wahrzunehmen, die auch in die Gegenwart reichen. Als Beispiel hierfür führt der Autor das Thema Brexit an. Mit dem 9. November 1989 sähen die Briten in einem wiedervereinigten Deutschland die Gefahr einer deutschen Dominanz in der EU zu Lasten der übrigen Länder. Dieses Gefühl der Bevormundung resultiere in der Brexit-Entscheidung.

In einem Exkurs wirft der Autor einen Blick auf „50 Jahre ohne neunten November“. In diesem Kapitel stellt Brenner den Umgang mit den 9. Novembern in den beiden deutschen Staaten dar und zeigt somit auch die Veränderung in der Erinnerungs- und Gedenkkultur auf.

Fazit:

Trotz der großen Fülle an Themen und der detaillierten Betrachtung historischer Entwicklungen und Zusammenhänge wirkt das Buch an keiner Stelle langatmig. Dies verhindert Brenner dadurch, dass er die Geschehnisse im Stile einer Reportage darstellt.

Eine lesenswerte Lektüre, die wichtige Kapitel deutscher Geschichte informativ, anschaulich und unterhaltend darstellt.

Produktinformationen
Verlag: Herder Verlag
Autor: Wolfgang Brenner
Erschienen: 19.August 2019 (1.Auflage)
Gebundenes Buch mit 320 Seiten
Preis: 26,00€
(getestet über Literaturtest.de)

P.S.: Die Rezension stammt von meinem Mann – Geschichtslehrer am Gymi


Rezension: Muss mein Kind aufs Gymnasium?

Klappentext (Rückseite):
“Seit dem Pisa-Schock erlebt die deutsche Schule einen radikalen Wandel. Neben dem Gymnasium erscheint eine Vielzahl neuartiger Gesamtschulen auf der Bildfläche. Christian Füller, einer der besten Kenner der Schullandschaften, sieht darin die verspätetete Bildungsrevolution, wie sie 1968 gefordert wurde. Er zeigt, wie heute Kinder aller Schichten individuell lernen – und das Abitur erringen können. Digitale Lernformen breiten sich aus, und dabei wird jene Schule wichtig, die das kritische Lernen einst erfand: das Gymnasium.

Überblick über den Inhalt:
In dem im Oktober 2018 erschienenen Buch von Christian Füller, setzt sich der studierte Politikwissenschaftler und Fachjournalist (Schwerpunkt Bildung und Lernen im digitalen Zeitalter) mit den verschiedenen neuen Schulformen, wie z.B. den Gemeinschaftsschulen auseinander. Er fordert Eltern auf, sich einen Überblick über die aktuelle Schullandschaft zu verschaffen und gibt Einblicke bzw. einen Überblick über sein Verständnis der deutschen Bildungspolitik und der deutschen Bildungslandschaft und deren Folgen. Füller plädiert für einen gelasseneren Umgang bei der Wahl der Schulart. Durch die verschiedenen Gesamt- oder Gemeinschaftschularten soll der Fokus auf die Förderung von Fähigkeiten gelegt werden, um die Kinder fit für die Zukunft zu machen. Um Abitur machen zu können, muss man kein Gymnasium besuchen. Allerdings plädiert er auch für die Erhaltung des Gymnasiums, da es auch künftig noch eine wichtige Rolle in der deutschen Bildungslandschaft spielen wird.

Meine Meinung:

Bei dem Titel hatte ich ehrlich gesagt etwas anderes erwartet. Schon auf den ersten Seiten des Buches merkte ich, dass es hier nicht darum geht, Eltern aufzuzeigen, dass nicht jedes Kind Abitur machen muss, da es ja auch noch andere Wege der Lebensgestaltung gibt – überspitzt formuliert. Daraufhin musste ich das Buch erstmal zur Seite legen und mich mit dem Gedanken anfreunden, ein Buch zu lesen, dass vermutlich in eine ganz andere Richtung geht, als angenommen. Ich geben zu, es fiel mir schwer, es wieder zur Hand zu nehmen. Doch überraschenderweise, ein Blick ins Inhaltsverzeichnis überzeugte mich weiterzulesen, wird auch dieses Problem von Herrn Füller beleuchtet. Er fragt nach Hintergründen der, in manchen Berufen schweren Azubi-Suche und widmet sich auch den Entwicklungen von Pisa-Studie über das sog. “Turbo-Abi” bis hin zur Inklusion. Alles in allem ein Buch, das den Anspruch erhebt einen Überblick über verschiedenste Richtungen des deutschen Bildungssystems zu geben, ohne dazu zu theoretisch zu werden.
Für mich bleibt fraglich, ob die neuen Schulformen dazu dienen (sollten), das Abitur ohne Leistungsdruck zu erreichen oder ob es nicht besser wäre, das “klassische” Abitur zu erlangen, und damit die Studierfähigkeit, die es vermutlich nicht im “Schongang” gibt. Mag sein, dass Herr Füller dies ähnlich sieht, herausgelesen habe ich es allerdings nicht.

Ein interessantes Video der Frankfurter Buchmesse habe ich hier noch gefunden.

Produktinformation:
Autor: Christian Füller
Verlag: Duden Verlag
Erschienen: 1. Oktober 2018 (1. Auflage)
Taschenbuch mit 212 Seiten
Preis: 18,00€
(getestet über literaturtest.de)

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